Arbeitsrecht für Betriebe und Betriebsräte
Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte, Wirtschaftsausschüsse und Konzernbetriebsräte
Wir beraten zahlreiche Gremien, angefangen beim ein-Personen-Gremium bis hoch zum Europäischen Betriebsrat deutscher Dax-Unternehmen. Die Themenpalette ist breit gefächert. Angefangen bei den ersten Schritten, die ein frisch gewählter Betriebsrat tut, bis hin zu Fragestellungen, in denen es um Themen wie Übergangs- und Restmandat geht, z.B. bei Verschmelzungen. Unsere besondere Kompetenz besteht im Verhandeln von Betriebsvereinbarungen zu
- Arbeitszeitmodellen (insbes. Schichtbetriebe)
- IT/EDV-Systemen (inbes. konzernweiter Einsatz)
- betrieblicher Altersversorgung.
Regelmäßig verhandeln wir überdies Interessenausgleiche und Sozialpläne und sind Beisitzer in Einigungsstellenverfahren. Geografisch beraten wir deutschlandweit.
Modethemen im Betriebsverfassungsrecht
Auch im Betriebsverfassungsrecht gibt es “Modethemen”. Das ist auch kein Wunder. Unternehmensberater ziehen landauf und landab. Im jeweiligen Unternehmen wird dann regelmäßig das berichtet, was man im Unternehmen zuvor gesehen oder eingebracht hat. So setzt schnell ein Nachahmeeffekt ein. Nicht umsonst haftet der Branche der Unternehmensberater das Image von “moderner Industriespionage” an (Anm.: Das geben wir hier mit einem kleinen Augenzwinkern wieder). Das eigene Unternehmen soll nicht ins Hintertreffen geraten, so dass auch das umgesetzt wird, was der Unternehmensberater sagt. Das war schon immer so. Und so kommen neue Managementmethoden in die Unternehmensgruppe bzw. das Unternehmen, in dem der Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat gewählt ist. Die Rede ist dann z.B. von der Einführung von “Lean Management“, von “Matrixstrukturen“, “Agilem Arbeiten” und so weiter. Neben Änderungen in der Arbeitsorganisation folgen neue Softwarelösungen, die das Neuartige technisch unterlegen bzw. ermöglichen sollen. Und diese bewegen sich schon lange nicht mehr im alten IT-Umfeld voller Nullen und Einsen. Sondern sie verändern mitunter die Arbeitswelt komplett.
BR und Salesforce
Ein gutes Beispiel dazu ist Salesforce. Ein Programm für den Außendienst, es soll die Arbeit beschleunigen, effizienter machen, Wissen soll geteilt werden. Kurzum: die Produktivität soll gesteigert werden. Hört sich gut an und viele Betriebsräte glauben es. An und für sich ist dies auch nicht schlimm. Aber wie so oft gilt auch hier: “Es kommt darauf an, was man draus macht!” Ähnlich, wie bei einem Hammer aus dem Baumarkt kann man nicht pauschal sagen, der Hammer ist gut oder schlecht, harmlos oder gefährlich. Wird er bestimmungsgemäß eingesetzt, dann ist er gut und harmlos, nämlich beim Einschlagen eines Nagels. Wird er hingegen nicht bestimmungsgemäß eingesetzt, indem er benutzt wird, um einem anderen damit eins auf den Kopf zu schlagen, dann ist er gefährlich und nicht gut. Und so ist es auch bei Salesforce. “Es kommt darauf an, was man draus macht.” Und Möglichkeiten, die Software “gefährlich” und “nicht gut” einzusetzen, gibt es zu Hauf. Wir haben Salesforce auf Seiten von Gesamtbetriebsräten schon mehrere Male begleiten können. Ein Fall ist von besonderer Erinnerung. Der Vertrieb selbst war unter Druck. Das Unternehmen war eine Ausgründung eines ursprünglich urdeutschen Industriekonzerns. Der Produktbereich wurde aber ausgegründet und von einem großen US-amerikanischen Konzern übernommen. Seither galten andere Regeln. Der Vertriebsleiter musste gute Zahlen liefern. Und er war der Meinung, dass seine Vertriebler eine Faultierfarm seien. Irgendjemand musste ihm gesagt haben, dass bei den Vertrieblern noch Potential sei. Also gab er die Anordnung aus, dass pro Tag eine bestimmte Mindestanzahl von Kunden besucht werden müsse. Überdies sollte jeder Vertriebler einen Kundenbericht schreiben und diesen Vor Ort vom Kunden unterschreiben lassen(!). Und noch vieles mehr. Es ging plötzlich nur noch um Berichte und Reports. Ein altes und erfahrenes Betriebsratmitglied, seines Zeichens im Leben “neben” dem Betriebsratsamt ein Vollblutvertriebler, sprach mich an: “Herr Dr. Bergmann, früher habe ich unsere Produkte vertrieben, dass es nur so krachte – heute komme ich kaum noch dazu, weil ich den ganzen Tag Berichte schreiben und reporten muss.” Die gesamte Datenflut muss natürlich ins System hochgeladen werde, so dass er und der Innendienst immer genau wüßte, wer was macht. Wer sich nicht daran hielt, z.B. indem ein Kundenbericht erst Abends hochgeladen wurde, weil gerade keine Netzabdeckung war, der bekam eine Abmahnung. Kein Scherz. Alle fühlten sich gegängelt, der Vertriebler, aber auch die Kunden. Die Kunden fühlten sich unwohl, weil sie selber sensibilisiert wurden, gegenüber Vertretern und Kunden “bloß nichts zu unterschreiben”. Der Gesamtbetriebsrat hatte sich auf einen Piloten eingesetzt. Getreu dem Motto, schauen wir, wie sich das anfühlt und lassen es erstmal laufen. Als die Beschwerden beim Betriebsrat Überhand nahmen, wurden wir mandatiert und wir verlangten, dass dieser Unfug aufhören müsse. Doch wir stießen auf Granit. “Wir brauchen das, um im Wettbewerb bestehen zu können!” wurde uns entgegnet. “Alle machen das (so)…”, warum nicht auch wir?” Einigung zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat – nicht in Sicht.
Im weiteren fanden wir uns vor der Einigungsstelle (auch der Weg dort hin war keinesfalls einfach … die Arbeitgeberseite versuchte zunächst Vorsitzende der Einigungsstelle “durchzudrücken”, die – bildlich gesprochen – “pechschwarze Unterhosen” anhatten, und einschlägig bekannt dafür waren, auf Fortbildungen vor Personalleitern zu schulen, wie Unkündbare gekündigt werden können. Nicht unbedingt vertrauensbildend, wenn man als Betriebsrat die Hoffnung hegt, mit dem oder der Vorsitzende(n) jemand neutrales zu bekommen, der nicht versteckt im Lager des Arbeitgebers steht. Gott sei Dank gelang es uns dann, unseren Wunschkandidaten im Rahmen eines eigenständigen Beschlussverfahrens durchgesetzt zu bekommen. Und in der Einigungsstelle ging es zunächst hoch her. Die Arbeitgeberseite ließ sich von einer großen Kanzlei vertreten, von der aber bekannt ist, dass dort zweit- und drittklassige Berufsträger landen. Kostprobe gefällig? Kein Problem: Es wurde argumentiert, der Sache nach gehe es doch nur um das sogen. Arbeitsverhalten der Vertriebsmitarbeiter. Und das Arbeitsverhalten unterfalle nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht der Mitbestimmung. Noch Fragen? Im Grunde ist das richtig. Aber wenn das Arbeitsverhalten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in eine technische Einrichtung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG “eingekippt” werden soll, dann greift die volle Mitbestimmung – und zwar auch für Verhaltensweisen, die – losgelöst von der Technik – für sich betrachtet nicht mitbestimmungspflichtig sind. Das sah Gott sei Dank auch der Einigungsstellenvorsitzende so. Dem entsprechend bekam die Arbeitgeberseite eine klare Ansage. Feingliedrige Kontrolle des Verhaltens der Mitarbeiter nur dann und dort, wo sie erforderlich ist, um Garantieleistungen und Serviceversprechen des Unternehmens gegenüber den Kunden einhalten zu können. Also mit klarer Zweckbestimmung. Eng definiert. Hierzu bedarf es aber nur einer Dokumentation, wann welche Arbeiten bei einem Kunden stattgefunden haben. Nicht zwingend muss dies namensscharf auf Mitarbeiterebene geschehen. Schließlich sollte Salesforce ja nicht zu einem Low-Performer-Selection-Tool verkommen. Damit ist ein wichtiger Aspekt angesprochen. Viele Arbeitgeber, erst recht mit US-amerikanischem, asiatischem oder französischem Hintergrund scheinen eine Art Umkehr der Beweislast zu praktizieren. Sie möchten wissen, was der Mitarbeiter in welcher Zeit tut. Wissen sie dies nicht, scheinen sie sich unwohl zu fühlen und anzunehmen, dass der gemeine Vertriebler auf dem Golfplatz ist oder mal wieder früher Feierabend macht. Hier sind wir spätestens an der Schnittstelle des magischen Dreiecks aus
(a) Betriebsverfassungsrecht (§§ 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG),
(b) Datenschutzrecht (Grundsatz der Datensparsamkeit, need-to-know, Zweckbestimmung usw.) und
(c) dem Grundgesetz zum Stichwort Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 und Art 2 GG usw.
Anders gewendet: “need-to-know” ist nicht deckungsgleich mit “nice-to-have” (was in der Praxis freilich allzu gern von der Arbeitgeberseite gewünscht wird). In der Praxis hilft die Kontrollfrage: “Warum muss der Chef, der Chef-Chef oder der Chef-Chef-Chef namensscharf wissen, welcher Mitarbeiter in welcher Zeit was genau gemacht hat? Regelmäßig zeigt sich dabei, dass es der nächste Vorgesetzte (Teamleiter?) wohl noch genaueres wissen muss (wer-was-wann-wie?), “darüber” (also dessen Vorgesetzter und dessen Vorgesetzter usw.) aber niemand mehr, so dass die Daten für die Ebene über dem Vorgesetzten entsprechend anonymisierten werden können. Dem entsprechend wurde die GBV eng ausgerichtet und “gut is”. Auf die Schwierigkeit, wie es aussieht, wenn es den Teamleiter nicht mehr gibt und der nächste Vorgesetzte in einer ausländischen Gruppengesellschaft sitzt, kommen wir später noch zu sprechen (vgl. unten unter Matrixstruktur).
BR und Workday
Ein weiteres Beispiel ist Workday. Dabei handelt es sich um eine “Computersoftware für Rechnungswesen, Personalverwaltung und Unternehmensplanung”. Klingt harmlos auf den ersten Blick. Drei Bereiche sind angesprochen. Und dem entsprechend gibt es bei Workday auch unterschiedliche Module oder Releases. Jedes einzelne birgt besondere Anforderungen. Aber bestimmte Gesichtspunkte sind allen Modulen und Releases gleich: Betriebsräte sind gut beraten, wenn der bislang praktizierte Austausch im jeweiligen Fachbereich beibehalten wird. “Same as today” ist ein Schlagwort, mit dem Betriebsräte erfahrungsgemäß gut durch Verhandlungen kommen. Kontrollinstrument ist dabei die Frage, was der einzelne Mitarbeiter in der “alten Welt” tun, dulden oder unterlassen musste. Musste er bestimmte Eingaben im System auch “in der alten Welt” vornehmen? Wurde “in der alten Welt” gemessen, wie lange er für einen bestimmten Arbeitsschritt benötigt hat? Tendenziell lautet die Antwort auf solche Fragen stets Nein. Besonderes Augenmerk ist zu legen auf den Bereich Reporting und Dashboards.
An dieser Stelle hört man von den Arbeitgebervertretern dann oftmals “das muss so sein,… anderes geht technisch nicht”. Wenn man das gegen das Licht hält, sieht man, dass das nicht stimmt. Vereinfacht ausgedrückt kann man sich merken: Bei Workday ist technisch alles möglich. Es ist immer nur eine Frage des Aufwands. Diese Aussage gilt übrigens nahezu für jede Softwarelösung. Hinter solchen Aussagen steckt regelmäßig ein von der Gesellschafterin übergestülptes Vereinheitlichungsinteresse. Da kommt der deutsche Betriebsrat dann oftmals wie das kleine gallische Dorf bei Asterix daher.
Lesenswert ist die Ausführung von Workday selbst hinsichtlich der Beteiligung des Betriebsrats bei Einführung (hier).
BR und Matrixstruktur
Eine Matrixorganisation ist ein mögliches Strukturprinzip in der Organisation eines Betriebes, nach dem Zuständigkeit und Verantwortlichkeit aufgebaut werden können. Dabei wird die Leitungsfunktion auf zwei voneinander unabhängige, gleichberechtigte Dimensionen verteilt. Häufig unterscheidet man (a) die fachliche Führung von der (b) disziplinarische Führung. Früher war es so, dass die zuständige Führungskraft am Ende des Flures sitzt oder auf einer anderen Etage desselben Gebäudes. Über Nacht werden dann andere Strukturen und Zuständigkeiten eingeführt. Häufig “am Betriebsrat vorbei”, indem lapidar mitgeteilt wird, “ab dem soundsovielten ändert sich Ihre Berichtslinie, sie berichten dann an …” und genannt wird ein Vorgesetzter nicht nur aus einem anderen Betrieb, sondern einem anderen Unternehmen, oft genug angesiedelt im Ausland. Damit gehen natürlich besondere Probleme einher, um nur einige Beispiele zu benennen:
- Wann und wie kann man sich besprechen? Hat man den Vorgesetzten immer nur per Telefon “am Ohr” oder auf dem Bildschirm per Videokonferenz (Sky for Business, ZOOM o.ä.)? Bei so etwas ist man gefährlich nahe am gefürchteten “Management by Excel”. Spannend wird es, wenn die Führungskraft nicht nur im Ausland, sondern auch in einer anderen Zeitzone arbeitet. Soll dann der Mitarbeiter nachts an einer Telefonkonferenz teilnehmen (müssen)?
- Wie erfolgt die Urlaubsplanung? Wer muss sich mit wem abstimmen? Problem dabei: Die Urlaubsgrundsätze werden regelmäßig im Betrieb aufgestellt. Der Chef bzw. Chef-Chef ist aber nicht betriebszugehörig. Wer koordiniert hier was? Und wer ist im Lead?
- In welcher Sprache wird eigentlich kommuniziert? Nicht automatisch ist jeder deutsche Mitarbeiter im ausreichenden Maße des Englischen mächtig. Müssen also die deutschen Mitarbeiter Englisch lernen? Oder der ausländische Vorgesetzte Deutsch?
- Regelmäßig gibt es im deutschen Betrieb bestimmte Spielregeln, die mitbestimmt in die Welt gesetzt wurden. Zu denken ist etwa an einen Feedbackprozess oder Zielvereinbarungen oder Bewertungen oder oder oder. Hand aufs Herz: Woher soll der im Ausland angesiedelte Vorgesetzte eigentlich die im deutschen Betrieb verbindlich geltenden Spielregeln kennen? Der im Ausland angesiedelte Vorgesetzte nimmt ja für sich in Anspruch, Vorgesetzter zu sein, also Führungskraft. Hmm… wie war das nochmal? “Due to the local law …” – so oder ähnlich steht es in Compliance-Richtlinien. Heisst dies nicht, dass sich der im Ausland angesiedelte Vorgesetzte mit den deutschen Betriebsvereinbarungen, Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen auseinander setzen muss? Und damit nicht genug. Oft ist festzustellen, dass Führungsspannen astronomische Größen erreichen. Im allgemeinen sagt man, dass echte Führung bis max. zehn Mitarbeiter gelingen kann. Innerhalb von gelebten Matrixstrukturen haben wir schon Führungsspannen von 30 bis 50 erlebt. Uns konnte dabei noch niemand sagen, wie bei solchen Zahlenverhältnissen noch vernünftige Mitarbeitergespräche, Bewertungen, Feedbacks etc. durchgeführt werden können.
Erfahrungsgemäß liegt bei Einführung von Matrixstrukturen auf Seiten beider Betriebsparteien nicht genügend Problembewusstsein vor.
- Die Arbeitgeberseite wird regelmäßig nicht groß gefragt von der Muttergesellschaft oder “dem Konzern”. Sondern ihr wird nur vorgegeben, ab dem soundsovielten dafür zu sorgen, dass aktualisierte Zuständigkeiten, Berichtslinien und Dotted Lines (Anm.: Dotted-Line-Prinzip bezeichnet in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre eine Teilung der fachlichen und disziplinarischen Unterordnung. Der Begriff kommt daher, dass im Organigramm fachliche Weisungsbeziehungen als gestrichelte Linie dargestellt werden) umgesetzt werden.
- Die Betriebsratsseite erfährt dies oft nicht als “offizielle Mitteilung an den BR”, sondern, wenn überhaupt die Betriebsratsmitglieder in ihrer Rolle als Arbeitnehmer. Punkt. Dem Umstand wird erfahrungsgemäß keine zu große Bedeutung beigemessen.
Dabei geht die Einführung einer Matrixstruktur regelmäßig mit einer “Änderung der Betriebsorganisation” einher im Sinne des § 111 BetrVG, mithin handelt es sich um eine sogen. Betriebsänderung, für die ein Interessenausgleich verhandelt werden muss. Klingt auf den ersten Blick fremd und komisch, weil doch gemeinhin ein Interessenausgleich nur “für große Sachen” abgeschlossen wird (?). Die Arbeitgeberseite entgegnet häufig, es würde doch kein Mitarbeiter entlassen, wofür man denn einen Interessenausgleich benötige. Dabei gilt es zu bedenken, dass ein Interessenausgleich immer dann verhandelt werden sollten, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen und nicht, wenn gefühlt eine “große Sache” vorliegt.
BR und Agiles Arbeiten und “Delayering”
Agiles Arbeiten ist in letzter Zeit zu einem Modetrend geworden. Man hat fast schon den Eindruck, wenn man nicht Agil arbeitet, dann ist man nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wirklich neu ist das Agile Arbeiten nicht, diese Organisationsform gibt es schon lange, sie ist bekannt aus dem projekthaften Arbeiten im IT-Umfeld. Allerdings darf man nicht annehmen, dass agil nur im IT-Bereich gearbeitet wird bzw. werden kann. Wie dem Internet entnommen werden kann, gibt es zwischenzeitlich sogar eine komplette Direktbank, die alle Arbeitnehmer agil arbeiten lässt. Für den Betriebsrat ist die Einführung von Agiler Arbeit ein ziemlich dickes Brett. Natürlich muss zunächst geschaut werden, welche Mitarbeiter aus welchen Bereichen agil arbeiten sollen. Dabei ist das einzelne Projekt, an dem einzelne Mitarbeiter mitarbeiten anders einzuwerten, als große Strukturmaßnahmen, innerhalb derer ganze Bereiche oder gar die vollständige Belegschaft agil arbeiten soll. So betrachtet ist auch in betriebsverfassungsrechtlicher Sicht keine Pauschalaussage möglich. Wie so oft, entscheidet der Einzelfall.
Zunächst kann eine Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von § 111 BetrVG vorliegen, denn unter “Betriebsorganisation” versteht man immer, wie gearbeitet wird, genauer: wie “Mensch & Maschine” zusammenarbeiten oder “Mensch & Mensch”, also nach welchen Wirkprinzipien. Vor diesem Hintergrund spricht viele dafür, in der Einführung agiler Arbeitsformen eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG zu sehen. Mit anderen Worten: Der Betriebsrat kann einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln. Beim Interessenausgleich hat bekanntlich der Arbeitgeber das Letztenscheidungsrecht. So betrachtet ist es gut, dass für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats § 111 BetrVG nicht der einzige Anknüpfungspunkt ist.
Regelmäßig geht die Einführung von Agiler Arbeit mit den dafür passenden Softwarelösungen einher, z.B. JIRA. Deren Einführung ist bekanntlich mitbestimmungspflichtig gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Der Agilen Arbeit ist ein höheres Maß an Eigenständigkeit inne, als in der klassischen Arbeitsform (Wasserfall). Die Mitglieder einer Gruppe bzw. eines Squads organisieren sich weitgehend selbst. So betrachtet sind auch die betrieblichen Regeln zur Arbeitszeit tangiert, § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG.
Ferner ist der Tatbestand der Gruppenarbeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG gegeben, der (bitte lesen!) geradezu wie die Faust aufs Auge für die agile Arbeit geschrieben worden zu sein scheint.
Damit noch nicht genug: Die agile Arbeitsweise greift tief in die DNA eines Betriebs ein. In der “alten” Welt gab es noch Teamleiter. Diese gibt es in der Agilen Arbeitswelt nicht mehr. Die Ebene der Teamleiter ist über, sie wird “delayert”, also herausgezogen. Teammitglieder haben damit keinen direkten Ansprechpartner mehr, sondern sind unter sich. Das wiederum wirkt aus auf die Feedback- und Bewertungsprozesse im Rahmen von Zielvereinbarungen, Leistungsbewertungen, 360 Grad-Review, auf die man sich mal verständigt hat. Hier sollten seitens des Betriebsrats Führungsspannen im Blick behalten werden.
Was tun mit diesem Wissen: Aus betriebstätlicher Sicht kann das Ziel nur darin liegen, eine (Gesamt-)Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber zu verhandeln. In dieser sollte nicht nur festgeschrieben werden, wann die Organisationsform gewechselt wird, sondern auch und vor allem, von welchen Funktionsbereichen und den dazugehörigen Mitarbeitern diese Organisationsform zu praktizieren ist, wer die Mitarbeiter dazu befähigt, dies zu tun (Fortbildungen, Qualifizierungen, Coachings, nicht nur zu Beginn, sondern laufend, z.B. mittels Agile Coaches) und wie die Verzahnung der neuen Organisationsform in die bisherigen betrieblichen und unternehmerischen Standards vollzogen wird (Urlaubsplanung, Gesundheitsschutz, Arbeitszeitmodelle, IT-Mitbestimmung). Nicht zuletzt sind die “delyerten” Personengruppen im Blick zu halten. Was passiert mit diesen? Gehen diese zurück in die Linie als normale Arbeitnehmer? Wäre dies überhaupt mit deren Arbeitsvertrag vereinbar, mithin gedeckt vom sogen. Direktionsrecht (§ 106 GewO)? Ggf. müsste denjenigen Personen, die sich nicht vorstellen können, zurück in die Linie zu gehen, oder denen das Agile Arbeiten “nicht ganz koscher” ist, eine Möglichkeit eröffnet werden, das Unternehmen gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes zu verlassen (Abfindung, Sozialplan). Wir praktizieren dabei den so von uns bezeichneten Ansatz von “Carte Blanche-Plätzen”. Wenn wir die Einführung von Agilem Arbeiten begleiten, geht dies zwingend mit zumindest einer bestimmten Anzahl von “Carte Blanche-Plätzen” einher.
Individualarbeitsrecht: Beratung und Vertretung von Arbeitnehmern
Natürlich vertreten wir auch Arbeitnehmer bei allen Fragen aus dem Arbeitsverhältnis. So vertrat Dr. Bergmann im Jahre 2008 zahlreiche Mitarbeiters eines regionalen Flughafens, die sich gegen Mobbing gerichtlich zur Wehr setzten (die Westfälischen Nachrichten berichteten derzeit, näheres hier: “Mobbingprozess beendet – Vergleich geschlossen“). Er vertrat auch einige Mitarbeiterinnen von Schlecker, näheres hier
Unsere Erfahrungen geben wir auch weiter in Schulungen. Bei Interesse melden Sie sich bitte.´