Arbeitsrecht aktuell: Corona-Virus und Arbeitnehmer – was tun?
Wir Deutschen gelten als gründlich und sorgfältig. Aber im Fall des Corona-Virus scheint nicht jede Firma gut vorbereitet zu sein. Zunächst gilt es zu berücksichtigen, dass im Arbeitsrecht hinsichtlich der Gesundheit nur ein geradezu binärer Zustand existiert: Entweder man ist krank. Oder man ist nicht krank, sondern gesund. Ob man krankt ist, fühlt man ggf. individuell, spätestens ein Arzt stellt es fest. Das Problem aber dabei: Der Arzt kann nur Arbeitsunfähigkeit feststellen, wenn es auch Symtome gibt. Ohne Symtome keine Arbeitsunfähigkeit. Und bei dem Corona-Virus besteht das Problem in der Karenzzeit. War anfänglich noch die Rede von einem Zeitfenster von zehn Tagen, so sind zwischenzeitlich zwei bis drei Wochen im Gespräch, bevor Beschwerden auftreten. Geht man also zum Arzt, ohne Beschwerden zu haben, kann der einem nicht wirklich helfen. Einen Impfstoff gibt es nicht. Und da es keine Symtome gibt, kann er auch nicht krank schreiben. Und dies, obwohl der Erreger vielleicht schon im Körper ist, nur hat er sich eben noch nicht “frei entfaltet”. Dies mag der Grund für manch Arbeitgeber sein, den Arbeitnehmer nach Hause zu schicken und von dort arbeiten zu lassen.
Ob allerdings von zu Hause aus gearbeitet wird, kann nicht einseitig vom Arbeitgeber angeordnet werden. Eine solche Weisung wäre nicht vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt (§ 106 GewO). Die Arbeit von zu Hause aus ist nämlich nur dann möglich, wenn beide Vertragsparteien einverstanden sind. Ist der Arbeitnehmer nicht damit einverstanden, dann muss der Arbeitnehmer auch nicht von zu Hause aus arbeiten. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum der Arbeitnehmer nicht damit einverstanden sein könnte, von zu Hause aus zu arbeiten. Hat er dort überhaupt eine entsprechende Infrastruktur? Also nicht nur das dienstliche Tablet oder Laptop und Smartphone, sondern auch einen freien und ungestörten Arbeitsplatz in seiner Wohnung? Also Tisch, Stuhl, Drucker etc., alles irgendwie angebunden an das Firmennetzwerk? Und wie verhält es sich mit dem verbrauchten Strom und der Versicherung? Noch komplexer wird es, wenn es im Betrieb auch noch einen Betriebsrat gibt. Denn die Frage, ob Arbeiten nur vom Büro aus oder auch von zu Hause aus erledigt werden, unterliegt der Beteiligungspflicht des Betriebsrats. Es handelt sich u.a. um eine Ordnungsfrage im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Problematisch ist es immer dann, wenn in der Vergangenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat noch keine Betriebsvereinbarung zum dezentralen Arbeiten, zum telebasierten Arbeiten oder gar dem sogen. Homeoffice abgeschlossen wurde. Denn dann steht der Arbeit von zu Hause aus nicht nur der ggf. fehlende Wille des Mitarbeiters im Weg, sondern auch die fehlende Beteiligung des Betriebsrats, die in einer unterschriebenen Betriebsvereinbarung mündet. Dies kann gerade jetzt zu einem echten Problem werden, zumal sich manch Arbeitgeber immer noch weigern, Mitarbeiter zumindest einzelne Tage von zu Hause aus arbeiten zu lassen (Angst vor Kontrollverlust?). Jetzt in Zeiten des Corona-Virus kann dies dem Arbeitger schnell auf die Füße fallen.
Anders gewendet: Den Betriebsparteien ist der dringende Tipp zu geben, jetzt möglichst schnell eine Betriebsvereinbarung zu verhandeln, die die Verrichtung von Arbeiten außerhalb der Büroräumlichkeiten zum Inhalt hat.
Gibt es keine entsprechende Betriebsvereinbarung und ist der Mitarbeiter nicht freiwillig bereit, von zu Hause aus zu arbeiten, hat der Arbeitgeber entweder die Möglichkeit, den tatsächlich oder vermeintlich infizierten Mitarbeiter ins Bürogebäude an dessen Arbeitsplatz zu lassen und in Kauf zu nehmen, dass weitere Kolleginnen und Kollegen infiziert weden. Oder er lehnt dankend ab und sagt, die Arbeitsleistung des Mitarbeiters nicht abzunehmen. Dann befindet er sich als Arbeitgeber im sogen. Annahmeverzug, muss also trotz Ausbleiben der Arbeitsleistung den Lohn weiterzahlen. Der Arzt hilft an dieser Stelle nicht viel, da er mangels Symtomen nicht krankschreibt. Bei Vorliegen von Annahmeverzug des Arbeitgebers spielt es dann auch keine Rolle, ob der Mitarbeiter kürzer oder länger als drei Tage krank ist.
Im Weiteren gilt es zu unterscheiden zwischen dem allgemeinen Lebensrisiko, welches jeder Arbeitnehmer zu tragen hat und den Fürsorgepflichten, die jedem Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern treffen. Hierbei ist folgende Abgrenzung zu berücksichtigen. Die allgemeine Gefahr, sich auf dem Weg zur Arbeit infizieren zu können, ist nicht wirklich neu. Im Herbst/Winter ist es die Grippe, die einen heimsuchen kann. Und jetzt theoretisch ein Corona-infizierter Mitbürger. Diese abstrakte Möglichkeit allein berechtigt den Mitarbeiter nicht, zu Hause zu bleiben. Würde dies geschehen, befände sich der Mitarbeiter seinerseits im Verzug, so dass der Grundsatz “Ohne Arbeit kein Lohn” gelten würde. Der Arbeitgeber könnte also die nicht gearbeiteten Stunden zeitanteilig vom Monats- oder Stundenlohn in Abzug bringen.
Anders sieht es aus, wenn es nicht um die allgemeine, abstrakte Gefahr geht, sich theoretisch anstecken zu können. Sondern weitere Umstände hinzutreten. Der eingangs angesprochene Messebesuch mit Beschickern aus Fernost könnte solch ein Fall sein, zumal Agnes im Betrieb sicherlich auch noch andere Aufgaben zu tun hat. Agnes könnte also sagen, nicht auf die Messe fahren zu wollen, erst recht, wenn sie ein kleines Kind zu Hause hat oder im Alter fortgeschrittene Eltern mit schwachem Immunsystem.
All dies sind Gesichtspunkte, die in einer abstrakt generell gehaltenen Betriebsvereinbarung geregelt werden sollten. Wo es keinen Betriebsrat gibt, sollte eine allgemeingültige Verfahrensanweisung ausgegeben werden.